Das Glück im Bild

Etel Adnan im Haus Konstruktiv

Dass eine Künstlerin erst kurz vor ihrem 90. Geburtstag den Durchbruch als Malerin schafft, ist selten. Es stimmt zwar: Viele Malerinnen erhalten Zeit ihres Lebens überhaupt keine Aufmerksamkeit, und so könnte man meinen, dass hier gleich vom epischen Kampf einer Künstlerin um Aufmerksamkeit in einer männlich dominierten Kunstwelt zu berichten sein wird.

Aber Etel Adnan war keine Unbekannte, als sie im hohen Alter an der dOCUMENTA 13 als Malerin entdeckt wurde. Schon seit vielen Jahre war sie dank ihres schriftstellerischen Werks als politische Stimme bekannt. Der Roman Sitt Marie Rose, in dem die in Beirut aufgewachsene Tochter eines muslimischen Syrers und einer christlichen Griechin über die Kriegswirren im Libanon schrieb, machte sie auch im Westen bekannt. Als Malerin aber wurde sie erst 2012 in Kassel entdeckt, als sie mit ihren kleinformatigen Bildern einen eigenen Saal an der dOCUMENTA bespielen durfte.DSC00608

Die Bilder Adnans sind nun im Haus Konstruktiv in Zürich zu sehen. Und wer die Ausstellung besucht, fragt sich, warum dieses Werk so lange brauchte, um sein Publikum zu finden. Während die Prosa und Lyrik Adnans sich an den arabischen Verwerfungen der vergangenen Jahrzente abarbeitet – und sich dabei mit den dunklen Seiten der gewalttätigen Geschichte Libanons beschäftigt – dient Adnan die Malerei als lebensbejahender Ausgleich. Die Malerei, so sagt sie in einem Gespräch mit der FAZ Anfang 2015, biete ihr einen Ausweg aus den Dramen der Worte. Formal sind sie der Lyrik verwandt, geht es doch in ihrer Lyrik wie in ihrer Malerei um das einzelne Element in seinem Verhältnis zu anderen. „Man sieht totes Laub in den Augen der Leute,“ heisst es im Gedichtband „Jahreszeiten“ beispielsweise. Diese präzise Reihung von Worten, die eine – hier düstere – Stimmung erzeugt, findet seine heitere Parallele in der Malerei.

Malerei ist Kopfsache

Farbflächen setzt Adnan in ihren Werken trennscharf nebeneinander, in einer ganz eigenen Mischung zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Wollen wir Verwandschaften suchen, so erinnern die Werke an Nicolas de Staël und an die unterschätzten Landschaftsbilder von Giorgio Morandi, nicht so sehr in der Farbwahl, die bei Adnan lebendiger, ja fröhlicher, erscheint, als vielmehr in der Formgebung.

„La pittura è cosa mentale“ heisst ein Motto bei Morandi, und es scheint auch bei Adnan durch. Hier wird nicht abgebildet, was gesehen wird, sondern wie die Künstlerin das Gesehene wahrnimmt. Nicht Abbild, sondern Erfahrung tritt uns in den Bildern entgegen. Gut erkennbar als Berg ist der Mount Tamalpais, der in den Bildern erscheint, und den Adnan von Ihrem früheren Haus im kalifornischen Sausalito jahrelang gesehen und immer wieder gemalt hat. Und doch ist er in der Vermittlung von Adnan nicht nur ein Berg, er erwächst zum Symbol, gleich dem roten Quadrat, das quasi als Signatur der Künstlerin repetitiv wiederkehrt und trotz der Ecken gar überzeugend eine Sonne repräsentieren kann.

lassnig Selbstportrait

Maria Lassnig, Selbstporträt/Abstrakter Kopf, 1956 Foto: UMJ / N. Lackner.

Die kleinformatigen Bilder laden zur Meditation ein. In ihrer fein austarierten Reduktion lassen Sie die Natur erkennen, und öffnen gleichzeitig einen imaginären Raum, den mit unseren eigenen Gedanken und Bildern auszufüllen wir als Betrachter eingeladen sind. Und plötzlich tun sich neue Verwandschaften auf und wir erkennen eine Nähe zu Maria Lassnigs Selbstporträt von 1956. Dieser Beziehungsreichtum öffnet in Adnans reduzierten Naturdarstellungen weitere Imaginationsräume, in denen wir uns verlieren und uns als glückliche Menschen wiederfinden können.

 Etel Adnan – La joie de vivre. Haus Konstruktiv, Zürich. Bis 31. Januar 2016. Katalog. 

Beitragsbild: Untitled, 2013. Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery Hamburg / Beirut

8 Kommentare

  1. Lieber Gregor,
    vielen Dank für diesen tollen Hinweis auf eine Künstlerin, die ich leider weder als schreibende noch als bildende Künstlerin bisher wahrgenommen habe. Eine beeindruckende Künstlerin mit einem beeindruckenden Leben. Es ginbt immer wieder etwas zu Entdecken!
    Liebe Grüße
    Kai

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    1. Lieber Kai
      Danke für deinen Kommentar. Auch ich kannte Edel Adnan zuvor nicht. Ich bin begeistert von diesen Bildern und von der sich daraus ergebenden Gewissheit, dass bildende Kunst die Welt einen besseren Ort machen kann – wenigstens ein ganz kleines Bisschen.
      Grüsse
      Gregor

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  2. Lieber Gregor, vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel. Ich mag die Malerei von Etel Adnan sehr, habe sie aber auch erst auf der dOKUMENTA 2012 kennengelernt. Nach Zürich werde ich es bis Ende Januar leider nicht schaffen, aber vielleicht besorge ich mir den Katalog zur Ausstellung.

    Herzliche Grüße von
    Anna-Maria

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      1. Lieber Gregor, ich würde deinen Artikel gerne auf AugenZeugeKunst teilen. Die Möglichkeit gibt es aber leider nicht. Möchtest du es nicht oder ist es nur nicht eingestellt?
        Herzliche Grüße von Anna-Maria

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