Zwischen Fakt und Fake

Zum ersten Mal in der Schweiz zeigt das Migros Museum für Gegenwartskunst eine Werkschau der Kanadierin Liz Magor

In ihrer Heimat Kanada gehört die 1948 geborene Bildhauerin Liz Magor schon lange zu den etablierten Künstlerinnen. In Europa und notabene in der Schweiz ist sie noch weitgehend unbekannt. Das dürfte sich mit der Ausstellung „you you you“ ändern, die das Zürcher Migros Museum zeigt, und die später nach Hamburg weiterwandert.

In ihren in Zürich zu sehenden Arbeiten aus den 90-er Jahren bis heute setzt sich Magor mit der Materialität der Dinge und ihrer Bedeutung für uns auseinander. Was fasziniert uns im Alltag an den Kleidern, Möbeln und Gebrauchsgegenständen, die uns umgeben? Warum liebt uns unser Mantel manchmal mehr als unsere Mitmenschen, wie Magor einmal in einem Interview betonte: „The relationship with material things is a compensation for the lack of attention that we get from each other. I know my coat loves me.”

Magor treibt ausrangierte Dinge auf, wie sie in Brockenhäuser zu finden sind, und haucht ihnen als Kunst neues Leben ein. So sammelt sie gefundene Wolldecken, die auch schon bessere Zeiten erlebt haben (und dabei ihre damaligen Besitzer wärmten), bessert sie aus, bringt sie in die Reinigung und hängt sie dann an die Wand – als Kunst. Sie versieht sie gar mit neuen Etiketten.

Verrückte Objekte

Dass durch ihre Intervention aus alten Decken Kunst entsteht, muss uns auf Arthur Danto verweisen, der in seiner bekannten Betrachtung zur modernen Kunst „Die Verklärung des Gewöhnlichen“ aus den 80er-Jahren das Etikett als Kunst-Ausweis nennt, wenn er davon erzählt, wie aus einem Wäschebeutel Kunst wird: „Ein so banales und bekanntes Objekt mit einem Etikett zu versehen heisst, es aus seinem Ort zu verrücken und die Umgebung zu verzerren“.

Dies geschieht mit den Objekten von Magor. Die Decken, ein eigentlich banaler Alltagsbegleiter, der wärmt und schützt, wird einer neuen Verwendung zugeführt und genau dadurch dem Betrachter wieder sichtbar gemacht. Vom Sofa geholt und ins Museum gehängt, wo jeder Kontakt mit der Wolldecke selbstverständlich verboten ist: Wie könnte die Umgebung radikaler verzerrt werden?

Nun meinte Danto mit dem Etikett eines, auf dem der Wäschebeutel mit „Wäschebeutel“ bezeichnet wird, seine Bestimmung also nicht nur aus der Erfahrung seiner Benutzer erhält, sondern durch die Beschriftung quasi durch Verdoppelung und Verdeutlichung so definiert wird, dass er eben „verrückt“ und damit zur Kunst wird. Der Brite David Shrigley beispielsweise variiert dieses Prinzip mit seinen grossen weissen Keramikeiern, auf die er „Egg“ schreibt.

Liz Magor geht einen Schritt weiter, indem sie die Grenzen zwischen Fakt und Fake in unserer Wahrnehmung schwirren macht. Sie werden nicht aufgehoben, aber doch so unkenntlich, dass wir genau hinschauen müssen, um zu sehen, was echt ist und was nicht.

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Stack of Trays,2008 Polymerisierter Gips, Kaugummi, gefundene Objekte, ©Liz Magor

So in ihrer stupenden Arbeit „Stack of Trays“, in der Überreste einer Party auf übereinandergestapelten Silbertabletts geschichtet sind: Kaugummis, Zigarettenstummel, leere Schnapsflaschen, gar ein Nagetier. Vordergründig vielleicht eine Kritik an der Wegwerfgesellschaft, die prasst, während andere Hunger leiden. Dann aber reift die Erkenntnis, dass die Tabletts (im Gegensatz zum Kaugummi und den Zigarettenschachteln) gar nicht echt sind. Sie sind aus Gips hergestellt, so realitätsnah, dass sich der Betrachter leicht täuschen lässt – und sich die Frage stellt, ob nicht die eigene, voreilige Interpretation, die ja das Werk erst zur Kunst macht, falsch (oder eben fake) ist.

Abgründe des Alltags

Mit dieser Doppeldeutigkeit spielt Magor in vielen ihrer Werke; wobei „spielen“ hier wohl der falsche Begriff ist, da es ihr mit ihrer Arbeit offensichtlich sehr ernst ist. Der erste Hauch von Ironie, den man beim Betreten der Ausstellungshalle, in der die meisten Werke ohne Sockel direkt auf dem Boden angeordnet sind, zu spüren meint, verfliegt bei der intensiven Auseinandersetzung – in dieser Wirkung den Werken von Maurizio Cattelan gleichend.

Die heile Welt schön gestapelter Handtücher und Kleider (die tapfere Hausfrau hat hier wohl gewaltet) verwandelt sich in ihr Gegenteil, wenn der Betrachter merkt, dass auch diese Textilien aus Gips geformt sind und der Stapel hinten offen ist: in ihm verbirgt sich die Alltagssucht in Form von Zigaretten, Gin und Bierdosen. Der Schein ist falsch, der Abgrund, in den wir blicken, hingegen echt.

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Double Cabinet (Blue), 2001 Polymerisierter Gips, Bierdosen © Liz Magor

In den jüngeren Werken, die in Zürich gezeigt werden, scheint es Magor wieder mehr um das (Auf-)Bewahren zu gehen. Die zusammengetragenen Alltagsdinge werden gestapelt, in Säcken verstaut, geordnet, dem Wirbeln der Welt entzogen. Was einst gehegt wurde, dann vergessen ging, findet so eine neue Bestimmung.

Der Besucher verlässt die Ausstellung seltsam verwirrt und nach Worten suchend, die das Gesehene verorten können. In seinem Spiel mit der Realität, mit dem Wahren und dem Vorgetäuschten, entzieht sich dieses Werk aber der eindeutigen Zuweisung. Und findet dadurch gerade in diesen Zeiten zu neuer Aktualität.

Liz Magor: you you you. Migros Museum für Gegenwartskunst. Noch bis zum 7. Mai 2017. Kuratiert von Heike Munder. Zur Ausstellung erscheint eine Publikation.

Artist’s Talk mit Liz Magor: Donnerstag, 4. Mai. 18 Uhr

Beitragsbild: Mossfield Twins, 2011
Wolle, Etiketten, Stecknadeln, Papier, Drahtkleiderbügel
© Liz Magor

 

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