Skyspaces

Mystisches Licht

James Turrells Lichtinstallationen spielen mit der Wahrnehmung des Menschen

«Schreib’ nie von dir!», lernten wir im Journalismus-Studium. Das Ich des Autors bleibt aussen vor. Daran halte ich mich – eigentlich immer. Das Erleben von James Turrells Kunst aber berührt geistige und seelische Sensoren im Betrachter, wie dies kaum das Werk eines anderen zeitgenössischen Künstlers zustande bringt. Es braucht dazu eine sehr spezifische Art der Kunst: Eine, die alle Sinne erreicht. Und weil sie dies tut, kann ich als Journalist diese Erfahrung der Sinnlichkeit, der körperlichen Aneignung dieser Kunst, nicht von mir abstrahieren. Was beim Erleben von Turrells Kunst geschieht, ist untrennbar mit dem Betrachter verbunden. 

Der 1943 in Kalifornien geborene James Turrell arbeitet mit Licht, natürlichem und künstlichem, oft mit beiden zusammen. Anhand künstlichen Lichts und dessen Auswirkung auf die Wahrnehmung des Tages- oder Nachtlichts lässt Turrell uns die Erfahrung machen, dass die Art, wie wir Licht sehen, nicht einfach gegeben ist. Ein Beispiel: Der Himmel ist nicht blau, wir nehmen ihn aus physikalischen Gründen so wahr. Ändert sich das Umgebungslicht, so scheint der Himmel plötzlich nicht mehr so blau wie vorher, sondern leuchtet je nach farblicher Einwirkung beispielsweise türkis oder grünlich, verblüfft mit tiefstem Schwarz oder überrascht mit einem zarten Grau. 

So anschaulich und sichtbar diese Licht-Kunst ist, so vollendet sie sich noch viel mehr als die greifbaren Werke bildender Kunst im Individuum selbst. Wir schauen uns diese Kunst nicht nur an, sondern erleben sie mit allen Sinnen. Wie Farbe und Licht uns beeinflussen, wissen wir, seit wir bewusst wahrnehmend vor Bildern von Mark Rothko oder Helen Frankenthaler standen. Wir erfahren dabei, dass neben den herkömmlichen Dimensionen der Kunst, wie Raum, Farbe und Struktur auch Zeit eine Rolle in der Wirkung des Werks spielt. So können wir auch Turrells Werke nicht einfach nebenbei konsumieren. Ein kurzer Blick auf ein plakatives Werk, das später noch in uns fortwirkt, wie das beispielsweise bei Warhol oder Beuys funktioniert: Das geht mit Turrells Installationen nicht. Raum, Zeit, Stille, Farbe, Licht, Natur, Spiritualität, Wandel; alles will erlebt, begriffen werden. 

Was wir sehen – und was wir zu sehen glauben

Und so verweilten meine Töchter und ich bei den Recherchen für diesen Artikel viele Minuten andächtig im Diözesanmuseum im bayrischen Freising in dem nicht allzu grossen Raum, den Turrell 2023 eingerichtet hat. In Anlehnung an eine bekannte byzantinische Ikone, die im Museum ausgestellt ist, nennt er sein Werk: «A chapel for Luke and his scribe Lucius the Cyrene» (das erkläre ich nun nicht weiter). Abgerundete Ecken erzeugen die Illusion von Unbegrenztheit. Beim Betreten des Raums, zu dem wir die Schuhe ausziehen – das führt über den sensitiven Kontakt mit dem Boden, urtümlich und direkt, zu einem mystischen Ausgeliefertsein an die Situation – sehen wir vor uns ein grosses rundes Loch, eingelassen in die Rückwand und mit einem breiten Rahmen versehen, der – gleich dem Loch – unterschiedliche Farben annehmen kann; wobei die Quellen des Lichts und der Farbe nicht sichtbar sind.

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